Sepp Bögle - Diplom Lebenskünstler
Seine Postadresse: An der Mole, letzter Baum, Radolfzell. Eine seiner Lebensweisheiten lautet:
„Du kannst dich den ganzen Tag ärgern. Verpflichtet bist du aber nicht dazu.”

Ein rundes, freundliches Gesicht, Vollbart, von der Sonne ausgeblichene, lange Haare,
stattliche Statur, zumeist gekleidet in TShirt, kurzer Hose und Sandalen, so kennt
man ihn, Steinekünstler Sepp Bögle. Seit dem Jahr 1997 balanciert er von April bis
Mitte Oktober an der Radolfzeller Hafenmole Steine aufeinander. Täglich entstehen
neue Skulpturen, wecken die Neugier der Passanten, locken Sie an, bringen Sie
zum Staunen. Weil er selbst geerdet ist, in seiner Mitte, überwindet Sepp Bögle augenscheinlich die Schwerkraft der Steine, türmt sie so aufeinander, dass sie sich nur
an der kleinstmöglichen Fläche berühren, allein durch die Balance gehalten werden.
„Die Steine zu stapeln, das macht nur etwa eine halbe Stunde pro Tag aus. Den Rest
des Tages gebe ich Seminare“, erklärt der Künstler und lacht dabei verschmitzt. Seminare,
so nennt er die Lebensweisheiten und Ratschläge, die er Menschen mit auf den Weg gibt. Das Steinestapeln sei lediglich ein Instrument, ein Medium, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen.

Der Krawattenmann steigt aus
Sepp Bögle hat einst ein bürgerliches Leben gelebt, war selbstständiger Handelsvertreter,
verheiratet, zwei Kinder, schmückte sich mit Statussymbolen, wie Eigenheim, einem großen Auto, Pilotenschein. „Aber glücklich war ich nicht“, sagt er über diese Zeit. „Wenn ich im Café
saß, wurde ich nicht gegrüßt, weil ich im Einheitsbrei der glattrasierten Krawattenmänner
unterging. Heute grüßen mich Menschen, weil ich mich in meiner Haut wohlfühle, authentisch bin und dadurch wahrgenommen werde.“ Seine Ehe zerbrach, er fühlte sich immer mehr getrieben von seiner inneren Unzufriedenheit, wusste instinktiv, dass er, wenn er so
weiter leben würde, kurz vor dem Herzinfarkt stand. Also machte er sich auf die Suche nach einem neuen Weg, gab seinen Job auf, reduzierte sein Hab und Gut bis auf einen Koffer. Ihm war damals klar geworden, dass er die Welt um sich herum nicht ändern kann, wohl aber sich selbst und die Sichtweise auf Dinge. Er fing an, über das Leben nachzudenken, hielt diese
Gedanken in einem Büchlein fest, erstellte ein „Seminar“ mit dem Titel: „Über den
Weg zur Mitte, zur Harmonie“. Nun ging es darum, möglichst viele Menschen zu
erreichen und ihnen seine Erkenntnisse und Lebensweisheiten zu vermitteln. Aber:
Wieder Termine einhalten? Räume für die Vorträge mieten? Einnahmen und Ausgaben
verbuchen? Das kam für ihn nicht in Frage. „Ich saß an der Hafenmole und bat das Universum um eine Antwort, wie ich mein Seminar publik machen könnte“, erzählt Sepp Bögle. „Und als ich einen jungen Mann sah, wie er auf faszinierende Weise Steine aufeinander stapelte, wusste
ich noch nicht, dass das die Antwort sein könnte.“ Schließlich probierte er es auch mit den Steinen und ein vorsichtiger Versuch zeigte ihm, dass die innere Balance, die er erlangt hatte, sich auf das Balancieren der Steine übertragen ließ. Die entstandenen Skulpturen lockten tatsächlich Passanten an, er kam mit ihnen ins Gespräch, jeden Tag aufs Neue. Bis heute verbringt Sepp Bögle im Sommer, wenn die Sonne scheint, seinen Tag an der Hafenmole Radolfzell, verkauft dort Fotos seiner Kunstwerke in Passepartouts sowie seine Bücher, die er geschrieben hat. Auf diese Weise bestreitet er seinen Lebensunterhalt. Er bewohnt ein kleines
Zimmer im Hotel Adler, frühstückt in der Stadt, braucht nicht viel zum Leben. In der kalten Jahreszeit, von Oktober bis April, reist er der Sonne nach, lebt zufrieden in einem kleinen Appartement auf Lanzarote.

Der Philosoph
„Würdest du dich als Philosoph bezeichnen?“, frage ich ihn. Er überlegt kurz, ehe er antwortet: „Ja, heute schon. Ich habe nämlich ein Hobby, ich denke Gedanken zu Ende.“ Sätze wie: „Wenn ich im Lotto den Jackpot knacken würde …“ denkt Sepp Bögle bis zum Schluss und überlegt, ob dieser Wunsch wirklich in einem Ziel endet, das ihn wahrhaft glücklich macht.
Wenn der Mann mit der sonnengegerbten Haut erzählt, wirkt er entspannt, in sich ruhend, im Reinen mit sich und der Welt. Dennoch gib es auch Situationen, in denen er sich ärgert, wütend werden kann. Das macht ihn menschlich und authentisch. Angesprochen auf seine Wut zuckt er die Schultern und sagt: „Ich habe schon viele meiner Schubladen aufgeräumt und geleert, aber eben noch nicht alle. Auch ich bin noch nicht am Ziel.“ Und dann lehnt er
sich zurück und freut sich daran, seinen eigenen Weg gefunden zu haben und zu leben, statt gelebt zu werden.
Der Prominente vom See
Der „Diplom-Lebenskünstler“ ist längst über die Grenzen Radolfzells hinaus bekannt.
Dafür sorgten eine Vielzahl von überregionalen Zeitungsartikeln und Fernsehberichten.
Außerdem war er in bekannten Talkshows ein gern gesehener Gast. Auch seine Fotografien sind bekannt. Er hat ein Auge für das Schöne im Leben, findet eine Perspektive, um Schönes
noch schöner darzustellen, fotografiert mit Herz, Seele und Geschick. Seine Bilder – das breite Passepartout, mittig die geschickt ausbalancierten, aufeinander gestapelten Steine vor der Kulisse des Bodensees, die schwungvolle Signatur – schmücken viele Privaträume, öffentliche
Gebäude und Arztpraxen. Die Bilder spiegeln sein Leben, seine Philosophie und die
Liebe zum Bodensee wider. Und jedes für sich ist ein Original, genau wie der Künstler
selbst.
'zeller Magazin 05/2016, Text und Fotos: Nicola M. Westphal; Sepp Bögle


