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Die Kneipp-Therapie

Weit mehr als nur Wassertreten

Container

Die Gesundheitsphilosophie nach Pfarrer Sebastian Kneipp ist auch nach fast 200 Jahren noch aktuell. Seit den 1960er Jahren ist Radolfzell am Bodensee ein anerkannter Kneipp-Kurort und seit Juli vergangenen Jahres gibt es ein neues, für die Öffentlichkeit zugängliches Kneipp-Becken im Park der Halbinsel Mettnau. Das Kneippen gehört auch zum Angebot der medizinischen Reha-Einrichtung METTNAU.

Die METTNAU und Kneipp

Funktionsoberärztin Dr. med. Sandra Unger erläutert im Interview den Nutzen und die Hintergründe der Kneipp-Therapie und welche Ansätze Kneipps sich auch im Behandlungskonzept der Klinik wiederfinden.

Frau Dr. Unger, wo findet sich die Philosophie von Pfarrer Kneipp in einer fortschrittlichen Rehabilitationseinrichtung wie der METTNAU wieder?
Das Konzept kardiologischer Rehabilitation beruht auf modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Seit der Eröffnung im Jahre 1958 hat sich die METTNAU als eines der bedeutendsten Zentren für Bewegungstherapie etabliert. Wir verfolgen ein ganzheitliches Therapiekonzept, in dem auch einige Elemente zu den von Sebastian Kneipp entwickelnden Anwendungen sichtbar werden. Dazu gehört es zunächst einmal, Menschen „in Bewegung“ zu bringen. Mit aktivem Sport zu Wasser und zu Land sowie angeleiteter Physiotherapie entsprechen wir der ersten Säule von Kneipp, der „Bewegungstherapie“.
Kneipps zweite Säule „Gesundheit durch Ernährung“ spiegelt sich in unseren  Ernährungsempfehlungen wider, in denen wir zu einer Ernährung mit möglichst
naturbelassenen Nahrungsmitteln, viel Gemüse und Obst sowie der sogenannten
„mediterranen Kost“ raten. 
Die dritte Säule seines Therapiekonzepts, die „Ordnungstherapie“, umfasst Selbstfürsorgemaßnahmen wie einen geregelten Tagesablauf mit Wechsel von An- und
Entspannung. Dazu gehören in den Einrichtungen der METTNAU zum Beispiel die regelmäßige Einnahme von Mahlzeiten, unsere Anleitungen für einen erholsamen Schlaf sowie verschiedene Entspannungsmethoden. Im Seminar zur Stressbewältigung bekommen unsere Patienten Impulse, um ihre Resilienz, also den Umgang mit ihren Belastungsfaktoren, zu steigern.
Bei der vierten Säule, der „Kräutertherapie“, werden von Kneipp die sogenannten „milden Kräuter“ eingesetzt, die wir bei uns auf der METTNAU zusätzlich zur klassischen Schulmedizin anwenden. So finden wir in der METTNAU-Apotheke verschiedene Mittel wie beispielsweise
Kneipps Lieblingsheilpflanze, Arnika, mit seiner entzündungshemmenden und abschwellenden Wirkung, Salbei zum Gurgeln bei Entzündungen des Mund- und Rachenraumes sowie Spitzwegerich-Tee zur Behandlung von entzündlichen Atemwegserkrankungen.
Die gezielte Anwendung von Wärme- und Kältereizen entspricht inhaltlich der fünften Säule Kneipps, der „Wasser- und Klimatherapie“. Gut bekannt sind Wickel, Heusackauflagen sowie das Wassertreten.
Wichtig ist uns, dass die Erkenntnisse, die unsere Gäste in den Einrichtungen der METTNAU gewonnen haben, „mit nach Hause“ genommen werden und das erlernte Gesundheitsverhalten im Alltag umgesetzt und weitergeführt wird, damit sich ein nachhaltiger Kureffekt einstellt. Ein Gast hat dieses einmal treffend formuliert indem er sagte: „Die METTNAU ist wie ein Schwungrad für mich!“

Auf der METTNAU gibt es seit dem letzten Jahr wieder ein Kneippbecken. Für wen sind die Wasseranwendungen sinnvoll?
Jung und Alt können von der positiven Wirkung des Wassers profitieren. Dabei sollten
aber folgende Regeln beachtet werden: Jede Art von Kälte darf nur auf eine gut vorgewärmte Haut treffen. Vor allem bei Kindern und älteren Menschen gilt es, behutsam vorzugehen. Allgemein gilt bei uns auf der METTNAU, Kneipp Anwendungen nur nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin durchzuführen.

 

Die Kneipp-Therapie: Kühles Nass und warmer Heusack

AB INS HEU
Vor vielen Jahren entdeckt und angewandt, nämlich bereits zu Lebzeiten Kneipps, setzt man bis heute auf die Wirkung der Heusackanwendung. Die Therapie gilt sowohl als Wohlfühlanwendung wie auch als Naturheilmittel. Jürgen Pfau, Teamleiter der Massageabteilung auf der METTNAU erklärt: „Wir setzen den warmen Heusack therapeutisch bei Muskelverspannungen, chronisch degenerativen Wirbelsäulen- und Gelenkserkrankungen
sowie Verkrampfungen im Magen-Darm-Bereich ein. Heusäcke haben zudem eine entspannende Wirkung auf den ganzen Körper.
Zur Anwendung wird der Heusack unter fließendem Wasser angefeuchtet, im Wasserbad für gut 20 Minuten „gedämpft“ und aufgeschüttelt. Dann wird er dort auf dem Körper platziert, wo Beschwerden vorliegen – bei Darmbeschwerden auf dem Bauch, bei Rücken-, Knie,- Hüft,- oder Nackenschmerzen entsprechend auf der schmerzenden Stelle und darf dort für etwa 20 Minuten seine Wirkung entfalten. Jürgen Pfau erklärt: „Mit der Heusack-Therapie können Schmerzen deutlich reduziert werden und auch die Bewegungsfähigkeit der Patienten verbessert sich.“ Gegenanzeigen sind akut entzündliche Prozesse.


DAS KNEIPPBECKEN DER METTNAU
Das Kneippen tut nicht nur gut, sondern regt die Selbstheilungskräfte an und unterstützt den Stressabbau. 

GEWUSST WIE... Das Wassertreten nach Kneipp ist einfach. Schuhe und Socken ausziehen, Hose hochkrempeln und im „Storchengang“ für etwa 30 bis 60 Sekunden durch das Kneippbecken waten. Beim Verlassen des Beckens nicht abtrocknen, sondern das Wasser lediglich abstreifen, Strümpfe und Schuhe anziehen und so lang gehen, bis spürbar ein Wärmegefühl eintritt.
Das Armbad – auch als „die Tasse Kaffee des Kneippianers“ bezeichnet – verbessert die Durchblutung des gesamten Körpers. Der Ablauf ist simpel: Ärmel hochgekrempelt und zuerst den rechten, dann den linken Arm bis zur Mitte des Oberarmes in das kalte Wasserbad eintauchen und bis zu 30 Sekunden „baden“. Anschließend Wasser abstreifen und die Arme kräftig durchschwingen.

Ernährungsempfehlungen nach Kneipp

„Die Nahrung ist nur dann zuträglich und gesund, wenn sie der Natur des Menschen zuträglich ist und von ihr verarbeitet wird.“ (Sebastian Kneipp)

Unsere Ernährung hat sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Viele Lebensmittel sind unabhängig von Anbaugebiet und Saison fast immer und überall verfügbar. Convenience-Produkte machen das Kochen leichter, jedoch aus ernährungsphysiologischer Sicht nicht immer besser. Was sich momentan als neuer Trend – das „Clean Eating“ – durchsetzt, wusste Pfarrer Kneipp schon längst. Sein Ernährungskonzept lautete: „Einfach, natürlich und nahrhaft“. Folgt man diesen Regeln, braucht es laut Kneipp weder Ernährungspläne noch Diäten. Vieles, was Pfarrer Kneipp schon wusste, ist auch heute noch gültig. Einiges wurde jedoch im Laufe der Jahre modifiziert. Schließlich haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur unsere Lebensgewohnheiten geändert, sondern Ernährungswissenschaftler haben auch neue Erkenntnisse gewonnen. Zu bedenken ist auch, dass Kneipp seine Ernährungsempfehlungen
für die körperlich hart arbeitende Allgäuer Bevölkerung vorgesehen hatte und daher findet man sehr gehaltvolle Mahlzeiten unter den Rezepten. Sein Motto „Mehr von der Pflanze, weniger vom Tier“ ist allerdings aktueller denn je, und daher steht viel Obst und Gemüse auf dem Speisenplan. Warum also nicht einmal neue Rezepte ausprobieren, die Aromen von
Kräutern entdecken und sich auch an neue Zutaten, Gewürze und Speisen herantasten?

ERNÄHRUNGSGRUNDREGELN FÜR DIE ERNÄHRUNG, ANGELEHNT AN KNEIPP:
Generell gilt: Die Ernährung sollte bedarfsgerecht, vollwertig und schmackhaft sein und nur wenig verarbeitete Lebensmittel enthalten. Richtet man sich nach nebenstehenden Regeln, wird
der Körper mit allen lebensnotwendigen Nährstoffen, Vitaminen und Mineralstoffen versorgt.

  • Lebensmittelauswahl nach Kneipp Regional, saisonal und möglichst schonend zubereiten: Die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) rät zudem: Garen Sie Lebensmittel so lange wie nötig und so kurz wie möglich, mit wenig Wasser und wenig Fett. Vermeiden Sie beim Braten, Grillen, Backen und Frittieren das Verbrennen von Lebensmitteln.
  • Natürlich würzen: Kräuter oder Gewürze verleihen den Speisen einen würzigen Geschmack. Auf zu viel Salz und Zucker sollte verzichtet werden.
  • Pflanzliche Lebensmittel bevorzugen: Täglich Gemüse und Obst sowie Vollkornprodukte. Die DGE empfiehlt: 5 x pro Tag eine Hand voll Gemüse und Obst. Tipp: Als Alternative zu weißen Frühstücksbrötchen mit fetter Wurst lieber mit einem Haferbrei (Porridge) und frischen
    Früchten oder einem Vollkornbrot mit Kräuterquark in den Tag starten.
  • Regelmäßiger Fischkonsum Das heißt, mindestens 1-2 mal wöchentlich. Fleisch- und Wurstwaren dafür nur in Maßen verzehren.
  • Als Getränk Wasser: Genussmittel wie Kaffee und Alkohol nur in Maßen konsumieren.
    Während Kneipp allerdings empfahl, nur bei aufkommen dem Durstgefühl Wasser zu trinken, raten Ernährungsexperten heute mindestens 1,5 bis 2 Liter Wasser oder ungesüßten Tee über den Tag verteilt zu sich zu nehmen.

Text bzw. Fragen: Nicola Westphal, Bilder: Nicola Westphal, Kuhnle+Knödler

 

Aus dem 'zeller Magazin 02/2020