Buchen

Storchendorf Böhringen

Die Böhringer Weißstorch-Kolonie im Ortsteil Böhringen ist einzigartig im ganzen
Land. Auf geballtem Raum findet man 40 Horste, fast die Hälfte aller Nester im
Landkreis. Eine Besonderheit sind die vielen Horste in den Bäumen.

Container
Böhringer Kirche mit Storchennest

Die ersten Störche sind bereits Mitte Februar zurückgekehrt. Inzwischen sind alle Nester in Böhringen besetzt. „Die Kolonie hat große Anziehungskraft, weil die Störche auf Sicherheit bedacht sind“, sagt Wolfgang Schäfle. Am 20. März hat die Brutzeit begonnen, die 32 Tage dauert. Das Weibchen legt im Abstand von zwei Tagen jeweils ein Ei – bis zu fünf insgesamt. Die Störche kommen so der Reihe nach zur Welt und können der unterschiedlichen Größe wegen im Nest besser geschützt werden. „Junge Störche wachsen extrem schnell. Sie wiegen etwa 70 Gramm bei der Geburt und verzehnfachen innerhalb der ersten zwei Lebenswochen ihr Geburtsgewicht. Das ist ein kleines Naturwunder!“ Erst mit sechs Wochen sind sie „überm Berg“, erst dann werden sie beringt. Die größte Katastrophe für Jungstörche ist ein feuchtes Frühjahr.

Ab einem Alter von zwei Wochen können sie der Größe wegen nicht mehr beschützt werden. So drohe den Jungtieren, die lediglich über Flaum verfügen, der Kältetod. 2016, so Schäfle, sind auf diese Weise die ganzen Bruten gestorben. Erschwerend für die Population komme hinzu, dass etwa 70 Prozent der flügge gewordenen Jungstörche das erste Lebensjahr nicht überstehen. 2014 hat das Max-Planck-Institut für Ornithologie 60 Böhringer Jungstörche mit Sendern ausgestattet. Davon leben jetzt noch sechs. Viele fänden den Tod auf Hochspannungsmasten, die nicht gesichert sind, häufig in Spanien. Die Jungstörche, die es zurück schaffen, ließen sich aber nicht automatisch wieder in Böhringen nieder, sondern suchten sich im Radius von 40 bis 50 Kilometern eine neue Unterkunft.

Das Storchendorf Böhringen ist ein wichtiger Knotenpunkt für die Storchenpopulation in Baden-Württemberg. 1979 galt der Storch in Baden-Württemberg als so gut wie ausgestorben. Deshalb traute Wolfgang Schäfle seinen  Augen nicht, als er 1981 – ein Jahr nach seinem Einzug in sein Haus in Böhringen – einen Storch sieht. 1982 kommt er wieder, eine Vogelsaison später überwintert er sogar in Böhringen. Wolfgang Schäfle geht davon aus, dass es sich um den gleichen Storch handelt, und so nennt er ihn „Balduin“. Dann plötzlich, in jenem Winter, verschwindet Balduin für ein paar Tage, und als er genauso plötzlich wieder auftaucht, hat er einen Partner mitgebracht, was bei Wolfgang Schäfle nun endgültig die ornithologische Begeisterung ausbrechen lässt. Er holt sich Hilfe bei professionellen Vogelfreunden, legt eine Nisthilfe an – und ganz nebenbei stellt er fest, dass es sich bei Balduin in Wirklichkeit um eine Balduine handelte. Es ist nicht bei einer Nisthilfe geblieben. Der inzwischen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Böhringer Storchenvater hat im ganzen Landkreis für die Rückkehr Adebars gesorgt. Der heute 79jährige betreut als Storchenbeauftragter ehrenamtlich mehr als 70 Horste im Landkreis und ist in dieser Funktion auch für die Beringung der Tiere zuständig. Landesweit werden inzwischen über 800 Brutpaare gezählt.

Störche in Böhringen

Viele ortsansässige Storchenfreunde, Schulklassen, Vorschulkinder mit ihren Erzieherinnen und Besucher von außerhalb genießen alljährlich im Storchendorf Böhringen das muntere Geklapper und Treiben der Störche. Vom Storchenvater Wolfgang Schäfle erfahren sie vor Ort Interessantes aus dem Storchenleben, zum Beispiel, wie das Brutgeschäft und die Jungenaufzucht ablaufen, was auf dem Speisezettel steht und Wissenwertes zum Vogelzug. Durch ein Spektiv mit 60facher Vergrößerung kann man Jungstörche aus nächster Nähe sehen. Dank einer Kamera, die das Max-Planck-Institut in der evangelischen Kirche angebracht hat, ist auch ein Blick direkt ins Nestleben möglich. „Das ist richtig spannend“, erzählt Wolfgang Schäfle. Man sieht die Störche im Anflug und Junge, die ihre Köpfe in die Höhe strecken. Mit sechs Wochen machen sie ihre ersten Flugübungen auf dem Nest und Sprünge von zwei Metern. „Da ist Lebensfreude pur zu sehen“, berichtet Wolfgang Schäfle voller Faszination.

 

Aus dem 'zeller Magazin 03/2017, Text Marina Kupferschmid