Buchen

Schlaraffenland für Wintergäste

Der Bodensee im Winterschlaf? Von wegen! Wenn es ruhiger wird auf dem Wasser und am Ufer des Bodensees, dann fliegen ganz besondere Urlaubsgäste in Radolfzell und Umgebung ein. Mehr als 200.000 Wasservögel überwintern hier in den Flachwasserzonen der großen Schutzgebiete, wo es Nahrung in Form von Wasserpflanzen und Dreikantmuscheln im Überfluss gibt. Besonders gut lassen sie sich am Untersee bei Radolfzell beobachten, der flacher ist als alle anderen Teilgebiete des Bodensees und über ruhige Buchten verfügt, wo die Vögel ungestört in ihrer Winterrast sind. Vogelkundler aus dem In- und Ausland reisen hierher, um Arten zu sehen, die in Mitteleuropa selten sind wie die etwa 10.000 überwinternden Kolbenenten – eine besondere Attraktion am Untersee. 

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Die meisten der 250.000 Wasservögel, die am Bodensee den Winter verbringen, brüten im fernen Sibirien oder in Skandinavien, manche reisen auch „nur“ aus Norddeutschland an. Reiher- und Tafelenten sowie Blässhühner bilden den Löwenanteil der Gäste. Sie kommen hierher, um in einer stillen Bucht ihren Gefiederwechsel, die Mauser, zu vollziehen oder weil die meist offenen Wasserflächen auch im Winter genug Nahrung bieten.

Bodensee statt Spanien?
Völlig unglaublich erscheint uns auf den ersten Blick das Verhalten des schönsten Wasservogels am Bodensee, der Kolbenente: Viele der in Südspanien brütenden Kolbenenten verbringen den Winter ausgerechnet bei uns, auf den Wasserflächen rund um Radolfzell. Warum aber bleiben sie nicht am Mittelmeer, wo es wärmer ist? Warum bevorzugen sie unsere kalte Region? Man muss wissen, dass ihre Brutgewässer in Spanien teichartige kleine Seen sind. Viele davon trocknen im Winter aus oder sie bieten in der kalten Jahreszeit nicht genug Nahrung. Anders als unsere großen, selten zugefrorenen, flachen Seeteile Markelfinger Winkel und Zeller See, die mit ihrem Nahrungsreichtum die Vögel anziehen.

43 verschiedene Arten

Beobachtungsstationen rund um den See bieten dem interessierten Laien die Möglichkeit, reizvollen Vogelarten zu begegnen. „Die Radolfzeller Aachmündung zwischen Moos und Radolfzell ist nach dem Wollmatinger Ried eines der bedeutendsten Wasservogel-Rastplätze am westlichen Bodensee“, sagt Hans-Günther Bauer. „Es kann sein, dass man hier 10.000 bis 15.000 Wasservögel auf einmal antrifft. Sehr viele Arten rasten hier und sie sind der Beobachtungsstation sehr nah“, erklärt er. 43 Arten überwinternder Gäste sind am Bodensee gelistet, so der Sprecher der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Bodensee (OAB). Schon seit den 50er Jahren führt die OAB mit Unterstützung der Naturschutzverbände die Wasservogelzählungen am Bodensee durch. Einst mit dem Ziel, die bedrohten und wichtigen Gebiete für die Winterrast herauszufinden und schützen zu lassen, heute auch, um herauszufinden, was sich im Ökosystem Bodensee verändert und welche Konsequenzen sich
daraus für die rastenden Vögel ergeben. Einmal im Monat ist die OAB von September bis April mit 80 bis 90 ehrenamtlichen Vogelbeobachtern zeitgleich auf 96 Zählstrecken am Bodensee unterwegs, um mit Spektiv, Zähluhr und vielen Kniffen den Bestand möglichst genau zusammenzutragen. Im November und Dezember erreichen die Zahlen meist ihren Höhepunkt. Die Vögel zu bestimmen, erfordere einiges an Erfahrung, denn nicht nur im Jahresverlauf, sondern auch mit dem Lebensalter der Tiere verändere sich häufig das Federkleid. Allein in Radolfzell gibt es acht Zählstrecken – außer an der Aachmündung beispielsweise am Bootsverleih an der Uferpromenade, in der Bucht hinter dem Konzertsegel, in der Südbucht der Mettnau, an der Mettnauspitze, im Markelfinger Winkel und am Mindelsee. 80 Prozent aller Wasservögel, so Hans- Günther Bauer, machen Tafelente, Reiherente und Blässhuhn aus. Die Rekordzahlen von früher mit über 250.000 Wasservögeln würden allerdings nicht mehr erreicht, seit es im Norden wärmer werde. Immer wieder gebe es aber auch neue Arten zu sehen wie zuletzt die Rostgans aus der Schweiz oder die Nilgans aus den Niederlanden. Es bleibt also spannend beim „Birdwatching“.

 

Text: Thomas Giesinger, Marina Kupferschmid
Aus dem 'zeller Magazin 06/2015 und 06/2020.