Buchen

Bilderbuchtage in der Natur

Eine der unverwechselbaren Stärken von Radolfzell und seinen Ortsteilen ist die Vielfalt in Natur und Landschaft. Es gibt hier viel mehr zu erleben und es ist abwechslungsreicher als anderswo. Im Frühsommer wird dieser Reichtum besonders deutlich. 
Naturliebhaber Thomas Giesinger erzählt von seinen schönsten Spaziergängen.

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Vom Vogelherd zwischen Liggeringen und Güttingen haben Spaziergänger und Wanderer fast einen 360 Grad-Rundumblick über die Region.

Es ist ein Bilderbuchtag Ende Mai. Wir wandern oberhalb von Güttingen, an einem
Hang des Bergzugs Bodanrück, der einerseits von wildem Wald, andererseits von herrlichen Wiesen geprägt ist. Als „Magerrasen“ werden sie von Fachleuten bezeichnet. Grillen zirpen, es blühen Salbei und Flockenblumen (blau), Klappertopf (gelb) und die ersten Kartäusernelken (dunkles rosa). Eine Bank lädt zum Verweilen ein. Vor uns sehen wir das schöne Dorf mit dem charakteristischen spitzigen Kirchturm, in der Ferne die Silhouette von Radolfzell, dann den Bodensee und – wenn wir Wetterglück haben – die Alpen. So schön, dass wir lange bleiben wollen und uns dann entscheiden: Entweder aufwärts über die Kuppe und den Bodenwald, vorbei am Bisongehege, zum Überlinger See und den Hangwald hinab nach Bodman. Oder wir wandern noch ein Stück auf dieser Seite des Berges und statten den urigen Gastwirtschaften von Liggeringen oder Güttingen einen Besuch ab.

Blick vom Mettnau-Turm auf den Markelfinger Winkel

 Der Finger im See

Am nächsten Tag bleiben wir in der Nähe der Stadt: Wie ein langer Zeigefinger ragt
die Halbinsel Mettnau, am Rand der Altstadt beginnend, in den See. Eine reizvolle
Mischung aus offenem Park, Auenwald und großen Riedwiesen mit vielen unterschiedlichen Blickwinkeln über den See erwartet uns. Ein Ziel dabei – der Weg führt durch einen Nachtigallenwald – ist der Mettnau-Turm. Die Aussicht lohnt sich, wieder beschert sie großartige landschaftliche Vielfalt. Ende Mai und Anfang Juni ist die Blühzeit der blauen Sibirischen Schwertlilie. Mit etwas Glück finden wir einige in den Riedwiesen. Wenn nicht, ist der hellgrüne Anblick vor dem Blau des Sees auch so ein Genuss.

Paradiesisch

Jogger schaffen es in 90 Minuten. Wer wandert, sollte sich mindestens vier Stunden Zeit nehmen, um den Mindelsee zu umrunden. Der See und seine Ufer sind Naturschutzgebiet seit über 80 Jahren. Dort warten im Frühsommer Orchideenwiesen auf uns, altrosa und dunkelgrün, vor allem im Osten des Sees. Der Ruf etlicher Nachtigallen erklingt – auch am Tag. Rohrsänger sind zu hören, niedrig kreisende Rotmilane gibt es zu entdecken. Wenn wir es dort bis nach der Dämmerung aushalten, gesellt sich zum Nachtigallen-Gesang das laute Epp-epp-epp der Laubfrösche. Diese für den Mai in unseren Auen und Feuchtgebieten so typische Klangkombination, dieses fast tropisch anmutende Hörerlebnis können wir vielerorts rund um Radolfzell bestaunen, auch am Ortsrand von Böhringen.

Mal was anderes

Stichwort Böhringen: Dort ist eine Seen Expedition möglich. Neben dem Bodensee lassen sich rund um das Dorf vier weitere Seen und Weiher erwandern. Am Böhringer Bahnhof beginnend, gelangen wir Richtung Süden auf der kleinen Straße nach Überlingen am Ried, zum überraschend auftauchenden Ziegeleiweiher. Der Gesang der Grasmücken und Drosseln ergänzt den erholsamen Blick über den See. Auch die Landschaft hinter dem Weiher ist abwechslungsreich und lädt zum Wandern ein. Startpunkt für die Entdeckung zweier weiterer Seen ist der Böhringer Friedhof. Wir gelangen über die Friedenstraße zum Holzplatz (auch da singen oft Nachtigallen!) und biegen rechts ab in einen Bilderbuch-Wald. Nach einer Viertelstunde gelangen wir zu einer Senke: Ein kreisrundes Wasser liegt mitten im Wald: Der kleine, nordisch anmutende Litzelsee. Der Gesang der Waldvögel, das Klopfen der Spechte und die eine oder andere Ente erfreuen uns hier. Von dort aus nach Süden führen schmale Waldwege zum Böhringer See, wo wir wahlweise Vögel beobachten, baden oder einkehren können. Grau- oder Silberreiher, Haubentaucher und trinkende Mehlschwalben suchen den See auf.

Haubentaucher
Graureiher
Grünspecht

Warum ist die Radolfzeller Landschaft so vielfältig?

Die Eiszeit türmte mit ihren eisigen Kräften Bergzüge wie den Bodanrück oder die Schienerberge auf. Sie formte schöne Täler und ließ zahlreiche Seen, feuchte Wiesen und Auenwälder entstehen. Es gibt herrliche Ausblicke und – gerade jetzt im Frühsommer – den Dreiklang zwischen dem Hellgrün der Feuchtwiesen, dem Blau der Gewässer und dem Weißgrau der Alpen. Dann kamen Bauern, Fischer und Mönche, die über die Jahrhunderte eine Kulturlandschaft entstehen ließen. Verantwortungsbewusste Menschen haben zwischen 1925 und heute dafür gesorgt, dass die für die Natur wertvollsten Landschaften um Radolfzell unter Naturschutz kamen – und bis heute kontinuierlich bewahrt und gepflegt wurden. So entstand ein Rückzugsraum für die Natur, ein Erholungs und Entdeckungsraum für uns Menschen.

Text: Thomas Giesinger

 

Aus dem 'zeller Magazin 03/2020

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