Radolfzell - die heimliche Öko-Hauptstadt
Nicht umsonst begleitet Radolfzell schon lange der Ruf der heimlichen Öko-Hauptstadt. Die Stadt beherbergt heute nicht nur ein halbes Dutzend Naturschutzorganisationen – mehr als jede andere Kommune – sie gilt auch als Keimzelle für nationalen wie internationalen Natur- und Umweltschutz.
Im Jahr 1989 kürte der Spiegel Radolfzell zur „Umwelthauptstadt“ der Bundesrepublik. Alles kam mit dem Ornithologen Gerhard Thielcke ins Rollen, der 1962 an die Vogelwarte Radolfzell berufen wurde. Der spätere Professor an der Universität Konstanz hat 1972 in Radolfzell den BUND-Landesverband gegründet und zwei Jahre später mit Mitstreitern den Bundesverband ins Leben gerufen. Auf seine Initiative hin sind mit Ausnahme des Naturschutzbundes (NABU), der bis vor ein paar Jahren auf der Mettnau landesweit eines von fünf Naturschutzzentren betrieb, alle anderen in Radolfzell angesiedelten Organisationen als BUND-Ausgründungen entstanden.
Neben dem BUND für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sind dies die 1987 gegründete Euronatur, die sich dem Erhalt gefährdeter Wildtiere und ihrer Lebensräume widmet, die 1994 aus der DUH entstandene Bodensee-Stiftung, die Kommunen und Wirtschaft in Österreich und in der Schweiz für eine umweltgerechte Entwicklung der Bodenseeregion gewinnen will, sowie der 1998 ins Leben gerufene Global Nature Fund, der sich für den Erhalt der Ökosysteme einsetzt und das weltweite Netzwerk Lebendige Seen (Living Lakes) koordiniert.
Gerhard Thielcke war es auch, der vor 39 Jahren die Naturschutztage am Bodensee ins Leben rief, die heute größte Kongress- und Fortbildungs-Veranstaltung für den Naturschutz im
deutschen Sprachraum sind. Thielcke erkannte seinerzeit die Notwendigkeit, die zunehmende Zahl von Menschen, die sich im Naturschutz engagieren, zu schulen. Sie sollten Basiswissen bekommen, neue Methoden und neue Trends im Naturschutz kennenlernen. Neben Vorträgen spielte die praktische Anschauung draußen, also in Exkursionen und beim Besuch von Einrichtungen des Naturschutzes, von Anfang an eine zentrale Rolle. Der westliche Bodenseeraum mit Tausenden überwinternden Wasservögeln, mit großen Schutzgebieten und immer wieder neuen Naturschutz-Modellprojekten war dafür ideal. Im Keller des Rathauses in Gaienhofen fand dann 1976 mit ein paar Dutzend Leuten der erste „Naturschutzkurs“ statt, später dann in der Aula der Internatsschule und in der Gaienhofener
Mehrzweckhalle. Als das Tagungszentrum Milchwerk fertig war, kamen die „Naturschutztage“ – wie sie heute heißen – nach Radolfzell. 2012 war mit über 1000 Gästen das Rekordjahr. 2007 starb der große Naturschützer und Initiator an den Folgen eines Sturzes in seinem Haus im Radolfzeller Ortsteil Möggingen. Eine Schule und ein Umweltpreis sind nach ihm benannt.
Radolfzell ist auch im praktischen Umweltschutz führend. Sie war eine der ersten Kleinstädte, die Ende der 80er Jahre ein Umweltamt einrichtete. Im Jahr 1989 kürte der Spiegel Radolfzell zur „Umwelthauptstadt“ der Bundesrepublik. Die Stadt hat sechs Naturseen und mit dem europäischen Schutzgebiet Bodanrück-Mindelsee-Untersee das größte unter den 350 Natura-2000-Gebieten in Baden-Württemberg. Die Naturschutzgebiete Mettnau und Mindelsee zählen zu den ältesten und bedeutendsten Naturschutzgebieten Deutschlands.
'zeller Magazin 01/2015, Text Marina Kupferschmid