Die Heimatliebe in den Herzen
Heimat ist mehr als ein Ort. Heimat bedeutet auch lebendiges Brauchtum und gelebte
Kultur. Dafür steht die Trachtengruppe Alt Radolfzell, die engagiert die Bindung an
die Heimat erhält und vertieft.
Sie sind immer wieder eine Augenweide. Die Trachtengruppe Alt Radolfzell repräsentiert ein Stück Zeller Tradition und ist Visitenkarte der Stadt Radolfzell am Bodensee bei fast allen öffentlichen Anlässen. Dass sie heute im 21. Jahrhundert mit einer stattlichen Zahl von 120 aktiven Mitgliedern ein lebendiger Teil von Radolfzell ist, hat sie dem früheren Pfarrer Hermann Sernatinger zu verdanken und einigen Radolfzeller Familien, die ihre gelebte Tradition über Generationen weitergegeben haben. Zu seinem 25. Priesterjubiläum
1919 brachte der Radolfzeller Bürgersohn, der Pfarrer im Schwarzwald war, einige Trachtenträgerinnen in seine Heimat mit. Da entsannen sich auch die Radolfzeller ihrer einst so gern getragenen kostbaren Festtagstracht, die in Zeiten des Aufbruchs ins 19. Jahrhundert auf den Speichern verschwunden war. 1921 rief er die Trachtengruppe „Alt Radolfzell“ ins Leben. 1926 zur 1100-Jahr-Feier der Stadt waren erstmals wieder Frauen und Männer in einheimischen Trachten zu bewundern, die nach den vorhandenen Überlieferungen gefertigt wurden.
Die Tracht der Frauen besteht aus einem Kleid, das am Hals in einer Falbel, einer weißen Halsrüsche, endet. Über dem Rock in gedeckten Farben wird eine glänzende Schürze getragen. Die Schultern ziert ein so genanntes Mailänder Tuch. Glanzstück der
Tracht ist die goldene Radhaube, wie sie früher von den vermögenden Bürgerfrauen und Patrizierinnen getragen wurde. Zu den Accessoires gehören weiße, gehäkelte Handschuhe, ein Pompadour, Korallen- oder Granatschmuck.
Die Männertracht setzt sich aus weißen Kniebundstrümpfen, Schnallenschuhen, einer geblümten Weste und einem dunklen Bratenrock zusammen. Der Dreispitz, die typische Kopfbedeckung des 18. Jahrhunderts, ergänzt die Tracht des vornehmen Bürgers. Unverändert ist auch der Auftrag der Radolfzeller Trachten geblieben. „Bewahrung des heimischen Brauchtums, Tracht, Lied und Mundartgedicht ist unsere Aufgabe“, so der Leitsatz.
Früher war das Trachtentragen ein Privileg alteingesessener Bürgerfamilien. Von vielen heutigen Mitgliedern waren schon die Großeltern oder Eltern bei den Trachten. „Noch bis vor wenigen Jahrzehnten waren Neuaufnahmen in die Trachtengruppe eigentlich nur für gebürtige Radolfzeller vorgesehen“, erinnert sich Vorstandsmitglied Gabriele Weidele, die der Trachtengruppe seit über 50 Jahren angehört. „Solche Aufnahmebedingungen können
wir uns schon lange nicht mehr leisten. Wir brauchen Nachwuchs, um den Weiterbestand des Vereins zu sichern" macht der Vorsitzende Wolfgang Weidele deutlich. Die Anschaffung der kostbaren Tracht ist eine Investition, die sich viele nur schwer leisten können. Für Jugendliche und Kinder gibt es deshalb Trachten zu leihen. Im ersten Augenblick denkt keiner an Nachwuchsprobleme, sieht man die fröhliche Kinderschar bei den wöchentlichen Treffen,
wo überlieferte historische Volkstänze wie der Schustertanz, der Müllertanz oder „Bonjour Josephine“ eingeübt werden. Seit 2005 kümmert sich Romy Bromma intensiv um die Nachwuchsrbeit, unterstützt von Martina Burger. Ihnen ist es wichtig, das Ursprüngliche der geschichtsträchtigen Stadt mit Spaß weiterzugeben, damit es gelingt, die Kinder schon früh für Brauchtum und Heimat zu sensibilisieren. Dazu gehört auch das Lernen von Radolfzeller Mundartgedichten aus einem Versbüchlein von Hermann Sernatinger. „Das ist für manche Kinder wie das Erlernen einer Fremdsprache, aber sie wollen es“, lacht Romy Bromma.
Wo immer die Trachtengruppe Alt Radolfzell auftritt, erntet sie große Komplimente. Es lohnt sich, bei den zahlreichen Festivitäten der Stadt dabei zu sein. Eine tragende Rolle wird die Trachtengruppe an den Heimattagen 2021 spielen, die in Radolfzell am Bodensee stattfinden werden
Aus dem 'zeller Magazin 06/2018, TEXT: Marina Kupferschmid
Fotos: Kuhnle und Knödler, Trachtengruppe Alt Radolfzell
